«The Logical Thinking Process – A Systems Approach to Complex Problem Solving», von H. William «Bill» Dettmer (Buchbesprechung)

Logischer Tiefgang im chaotischen Alltag

Eine Buchbesprechung über das Buch “The Logical Thinking Process” von H. William «Bill» Dettmer, erschienen 2007.

Um was geht es in «The Logical Thinking Process»?

«Bill» Dettmers Buch “The Logical Thinking Process – A Systems Approach to Complex Problem Solving” ist ein zeitloses Grundlagenwerk, das die Konzepte von Goldratts Werk eindrucksvoll zusammenfasst und auf den Punkt bringt.

Dettmer gelingt dies auf eine analytische und nüchterne Art, die dem anspruchsvollen Inhalt mehr als gerecht wird. Er findet den richtigen Tiefgang und die notwendige Reflexionskraft, um ein klares Verständnis zu ermöglichen und damit hinter die Narrative zu schauen, die Goldratts Bücher mit der ihnen eigenen Qualität auszeichnen, die aber oft auch Lust auf mehr machen.

Dettmer stellt wirklich alles bereit, um komplexe Probleme jeder Art systematisch zu lösen.

Er beweist damit auch, dass Goldratts Konzepte keineswegs auf industrielle Fertigungsumgebungen beschränkt sein müssen, sondern ganz im Gegenteil auf Ressourcenorchestrierung, Projektmanagement und Management in Unternehmen jeder Art allgemein anwendbar sind, bis hin zur Entscheidungsunterstützung in fordernden privaten Lebenssituationen.

Das Buch wirkt somit als eine Art geistiger Leuchtturm in dessen Schein man selbständig navigieren kann, aber in dem man auch mit neuem Interesse benachbarte Ufer wie Systemtheorie, kybernetische Organisationstheorie (à la Stafford Beer), das Cynefin Frameworks, das OODA-Konzepts oder anderer Ansätze deutlicher wahrnimmt als zuvor.

Was lernt man durch die Lektüre des Buches?

Das Buch zeigt, wie man komplexe oder bösartige («wicked») Probleme jeder Art erfolgreich lösen kann.

Mit den dargestellten Denkwerkzeugen und Vorgehensweisen können in schwierigen Situationen jeder Art die richtigen Entscheidungen getroffen werden, kann in jeder Phase eines Projekts, im Unternehmen oder eigentlich in jeder Lebenssituation herausgefunden werden, was zu tun ist, egal wie hoch die Anforderungen oder wie komplex die Herausforderungen und die Konflikte sind.

Das ist schon mal eine ordentliche Ansage, der das Buch aber absolut gerecht wird!

Was steht im Buch «The Logical Thinking Process»?

Nach einer Einleitung in die «Theory of Constraints» werden jeweils getrennt Methoden zur Klärung der Voraussetzungen, zur Zielfindung, zur Situationsanalyse, zur Konfliktlösung, zur Entwicklung einer Zukunftsvision und zur Definition der Umsetzungserfordernisse dargestellt.

Die logische Kraft wird durch visuelle Diagramme entfaltet, die durchgehend verwendet werden:

  • Categories of Legitimate Reservations
  • Goal Tree
  • Current Reality Tree
  • Evaporating Cloud
  • Future Reality Tree
  • Prerequisite und Transition Tree

Sowie, gewissermassen als Bonus, der:

  • Executive Summary Tree
  • Strategic Goal Tree

Diese «Bäume» (Trees) sind allesamt visuelle Diagramme, die alleine oder mit anderen entweder mit einer Visualisierungssoftware oder mit Klebenotizen erstellt und erarbeitet werden können.

Neben den üblichen deskriptiven Visualisierungstools wie LucidChart, draw.io, Miro, Conceptboard oder anderen gibt es mit Flying Logic auch eine Desktop-Software, die eine konstitutive echte logische Modellierung ermöglicht und damit die logischen Zusammenhänge direkt erfass- und darstellbar macht.

Das Buch bietet aber noch mehr, auch in zahlreichen Anhängen: So findet sich im Anhang G ein kompakte, fast ein bisschen schnippige Hilfe zur Unterscheidung von Korrelation und Ursache am Beispiel der Gefährlichkeit von Brot, und im Anhang H eine mehrseitige Aufstellung von Motivationstheorien, die jeweils in sich weitere wertvolle Hintergrundinformationen liefern.

Wie liest sich das Buch?

Das Buch ist keine leichte Lektüre.

Entsprechend der Universalität und Mächtigkeit der dargestellten logischen Werkzeuge «läuft» es auf einem sehr hohen Abstraktionsgrad und steht damit in einem scharfen, aber auch wohltuenden Kontrast zur heute in der Gesellschaft durch Social Media und oft sprunghaft «agilen» Vorgehensweisen dominierenden Oberflächlichkeit.

Dettmer selbst hat über Marris Consulting in Paris ein umfassendes einwöchiges Seminar angeboten. Das sah nicht ohne Grund einen Ruhetag in der Mitte vor, um allen Teilnehmern die Möglichkeit zu geben, den Stoff zu verinnerlichen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass der Ruhetag zwingend notwendig ist. Erfreulicherweise gibt es inzwischen eine Online-Version, in die man sich mit der eigenen Pace vertiefen kann.

Der logische Denkprozess ist sowohl im stillen Kämmerchen alleine praktizierbar als auch in Gemeinschaft mit anderen als Unterstützung und Orchestrationswerkzeug für Kommunikations- und Entscheidungsfindungsprozesse jeder Art.

Wie kann «The Logical Thinking Process» in der Praxis angewendet werden?

Wer sich auf Dettmers Ausführungen einlässt, wird in dem von Unsicherheit, Wandel und Krisen aller Art geprägten Umfeld, in dem wir leben, reich belohnt:

Wer das Buch studiert und sich drauf einlässt, erhält einen umfassenden Werkzeugkasten belastbarer Methoden und Analysewerkzeuge, die ihn oder sie in die Lage versetzen, jedes Problem bestmöglich zu lösen und jeweils genau das zu tun, was notwendig und geeignet ist, um das Beste aus jeder Situation zu machen.

Dettmers Ausführungen zeigen dabei nicht nur, wie man die gefürchteten kognitiven Verzerrungen im eigenen Denken vermeiden kann, sondern auch, wie man in Gruppensituationen möglichst objektiv und dem gemeinsamen Ziel verpflichtet vorgehen kann … bis hin zur systematischen und logischen Bereinigung von Konflikten mit der «Evaporation Cloud» (der Verdunstungswolke).

Damit öffnet einem das Buch «leider» auch schonungslos die Augen darüber, wie weit Entscheidungsprozesse in Organisationen und privaten Zusammenhängen heute von logischen Prinzipien und einer klaren Gedankenführung entfernt sind. Ganz zu schweigen von KI-Anwendungen die lediglich auf Grund statistischer Methoden daherschwätzen.

Es ist offenbar viel einfacher, sich täglich aktuellen Trends zu widmen und in agiler Hektik einmal irgendetwas zu tun, als anstehende Probleme als solche zu erkennen und sich ernsthaft um nachhaltige Lösungen zu bemühen.

Es ist ohnehin keine leichte Aufgabe, komplexe Probleme zu erfassen und zu lösen, erst recht, wenn die derzeitigen agilen Methoden oft Oberflächlichkeit und Schnelligkeit gegenüber Analyse und Tiefe bevorzugen. Das wäre ja kein Problem: Man muss nicht jedes Alltagsproblemchen mit Kanonen schiessen.

Nur sammeln sich durch ungenügende Problemlösungstiefe in vielen Organisationen oft ungelöst Probleme an und kulminieren nicht selten in organisatorischer Erstarrung und einer Bullshit-Bürokratie – und enden so nicht selten im schleichenden Niedergang eines Untenehmens.

Die im Buch vorgestellten Werkzeuge lassen sich freilich auch einzeln anwenden, so dass sie sich durchaus auch als Interventionswerkzeuge eignen, um ad hoc konkrete Aufgaben zu lösen und Projekte wieder flott zu bekommen.

Inhaltlich fühlt sich das Vorgehen beim «Logical Thinking Process» häufig ähnliche wie eine «Root Cause Analysis» an, bei der man auch immer mehr Klarheit erhält, indem man sich immer tiefer in das Problem hineinarbeitet und die Herausforderung so immer klarer herausschälen kann. Indirekt wird dadurch auch die Fähigkeit geschult, sich rascher und sicherer auf Situationen, Probleme und Herausforderungen einzustellen, sich zu kalibrieren um mit der richtigen Valenz zu reagieren und die passenden Reaktionen («next action») daran anzuschliessen.

Sie werden sich jedenfalls nach der Lektüre und Aneignung der dargestellten logischen Methoden verantwortlicher und einsatzbereit zu fühlen, um diese Erkenntnisse und Denkkraft für sich selbst und mit anderen in die Praxis umzusetzen.

Die Last dieses «Empowerments» können Sie natürlich auch willkommen heissen und mit Begeisterung für sich in privaten und in beruflichen Kontexten nutzen!

Was ist dabei zu beachten – welche Erfolgsvorausetzungen gibt es?

Die Methode und Dettmers Gedanken machen schnell klar, dass Logik selbst inhaltsfrei ist: Die richtigen Schlussfolgerungen können einfach gezogen werden, wenn denn endlich die richtigen Prämissen gesetzt und verbreitete begriffliche Unschärfen aus dem Weg geräumt sind.

Diese Prämissen wiederum brauchen die passenden Entitäten als Begriffe und die richtigen verstandenen Kausalbeziehungen zwischen diesen. Und hinter beidem verbergen sich Werte und Voreinstellungen, die sich einer präzisen begrifflichen Beschreibung häufig entziehen oder von falschen Vorannahmen geprägt sind.

An abweichenden Begriffsverständnissen und diversen Erwartungshaltungen wird der logische Denkprozess in unserer eher oberflächlichen Welt häufig und schuldlos scheitern, selbst wenn er einmal gestartet ist, angesicht digitaler Vergänglichkeit und von tagesaktuellen Hashtags.

Dem entsprechend zeigt sich schnell, dass die eigene und mit anderen geteilte Klarheit über die eigenen Erwartungen, Ziele, Werte und eine einheitliche Begriffwelt wesentliche Erfolgsvoraussetzungen sind, über die man sich in unserem realen und virtuellen Alltag viel zu selten verständigt und die es definitiv wert sind, vorab geklärt zu werden.

Legendär sind die abweichenden Verständnishorizonte im Bereich der Softwareentwicklung, bei denen zwischen den Fachabteilungen und der IT-Abteilung oder externen Entwicklern ununterbrochen aneinander vorbeigeredet wird.

Das schmälert in keiner Weise den Wert des Buchs und seine Botschaft. Es schmälert auch nicht die Bedeutung dieses Buches für die Lösung und Diskussion der heutigen globalen Probleme oder für deren logisches Verständnis.

Dies auch deshalb, weil die einzelnen vorgestellten Werkzeuge und Tools auch jeweils für sich einzeln anwendbar und für verschiedene Kontexte einsetzbar sind.

Das Buch verkörpert somit die Hoffnung und die Möglichkeit, gemeinsam und auf sicheren Schienen den Weg aus unseren heutigen individuellen, beruflichen und weltweiten Problemen zu finden.

Logik und KI

Das Buch verdeutlicht die Mächtigkeit von Logik, die seinen Ausgangspunkt und Nukleus darstellt.

Damit steht es im Kontrast zu derzeit dominierenden digitalen Konzepten der Wahrscheinlichkeit und von Korrelationen, die nicht zuletzt durch die sogenannte Künstliche Intelligenz in Form Generativer Sprachmodelle gerade mächtig Aufwind erfahren.

Dennoch lässt sich dieser konstitutiv logische Ansatz der «Logical Thinking Processes» relativ zwanglos erweitern, indem bei unklaren Fakten bzw. Ziele als Knoten mit Wahrscheinlichkeiten hinsichtlich Ihres Zutreffens versehen werden.

Man startet in diesem Fall mit dem «Logical Thinking Process» und endet damit bei einer Art von «Probability» oder «Decision Trees», die nicht zuletzt im Risikomanagement und in der Betriebswirtschaft tragfähige Entscheidungsgrundlagen liefern können.

Die Idee, den «The Logical Thinking Process» somit für die Entwicklung von KI-Systemen und für deren Risikobewertung zu nutzen, ist somit mehr als naheliegend.

Was noch?

Zusätzlich wünschen könnte man sich eine erste Einführung in den «logischen Denkprozess», den erfreulicherweise Thorsteinn Siglaugsson schon geschrieben hat: «From Symptoms to Causes: Applying the Logical Thinking Process to an Everyday Problem» (2020).

Zum Einstieg und für die Einweihung andere Interessenten in das Thema hilfreich ist vor allem auch «The Logical Thinking Process: An Executive Summary» (2018) von Dettmer selbst verfasst.

Weiters macht das Buch neugierig auf andere Konzepte zur Problemlösung, und wie man diese eventuell zusammen mit dem logischen Denkprozess nutzen kann. Dettmer hat selbst dazu schon einiges beitragen, z. B. schon 2003 über die «Crawford Slip Methode» als Brainstorming oder mit einem aktuelleren umfassenden Band über Systemtheorie: «Systems Thinking – And Other Dangerous Habits» (2021).

Dass man an andere Konzepte Anschluss sucht ist aber keine Schwäche des Buches, sondern vielmehr seine Stärke: Es vermag die logischen Konzepte der «Theory of Constraints» so glasklar und deutlich darzustellen und zu liefern, dass man sie jederzeit und überall im Alltag anwenden möchte und dass man sie und ihre Bezüge zu angrenzenden Konzepten nicht mehr missen möchte.

Resümee und Empfehlung

Es bleibt zu hoffen, dass der Ernst der globalen Situation und die dringende Suche nach effektiven Lösungen für aktuelle Krisen bald dazu führen, dass mehr Leserinnen und Leser den tiefen Wert dieses Buches erkennen und sich beeilen, es gewinnbringend einzusetzen, um ihre Probleme zu lösen indem Ressourcen optimal eingesetzt werden; um Projekte effektiver zu managen als die derzeitigen oberflächlichen Methoden, die nicht selten auf einer Pervertierung agiler Ideen beruhen und hektische Beliebigkeit und Betriebsamkeit gegenüber einem vorgängigen tiefen Verständnis betonen und das Erzielen von nachhaltigen Ergebnissen hinten an stellen.

Natürlich kann diese Buchbesprechung nicht enden, ohne die Firma Marris Consulting von Philipp Marris in Paris nochmal zu erwähnen, die regelmässig Seminare mit Bill Dettmer veranstaltet haben und kürzlich eine Online-Version dazu veröffentlicht haben.

Die abschliessende sehr konkrete Empfehlung ist natürlich subjektiv und war so nicht geplant, sie lässt sich aber nicht vermeiden:

Wenn Sie sich komplexen Problemen gegenübersehen bzw. grundlegende Herausforderungen gründlich durchdenken wollen, oder wenn Sie sich «nur» in fordernden beruflichen Alltagssituationen gerne mit gute Argumenten versorgen wollen, dann vertiefen Sie sich in den Logical Thinking Process: Besorgen Sie sich das Buch und buchen Sie den Kurs, es ist eine gute Investition, die es Ihnen ermöglichen wird, ihr Denken und Ihr Handeln privat und beruflich neu auszurichten und zum Positiven zu verändern!

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